Die Berufslaufbahn des Lehrers zu wählen hieß für mich, zuallervorderst, es anders, "besser" machen zu wollen als ich es selbst in meiner Schulzeit erlebt hatte.
1989, in meinem zweiten Studienjahr als Sonderschullehrer an der Pädagogischen Akademie in Wien erhielt unsere Jahrgangsgruppe von unserem damaligen Professor in Erziehungswissenschaften, Karl Köppl, einen „Reader“ mit diversen pädagogischen Artikeln. Darunter einer mit dem Namen „Ein Montag in der Primaria“, ein Kapitelauszug aus dem Buch „Erziehung zum Sein“ von Rebeca Wild. Diese Begebenheit sollte eine der ganz großen Weichenstellungen meines Lebens sein.
Zusammen mit meiner damaligen (mich auch heute begleitenden) Freundin Maya Vera machte ich mich auf die Suche nach einem pädagogischen Ansatz, den das Ehepaar Wild in Ecuador entwickelt hatte und der sich als viel mehr entpuppte: nicht nur als ein Ansatz für einen anderen Umgang mit Kindern, sondern als eine Lebensbetrachtung bzw. -haltung allgemein.
Nach Lesen des Buches (und vieler weiterer Bücher) und nach Besuch von Seminaren der beiden innerhalb ihrer sommerlichen Seminarreisen in Europa, reisten wir schließlich nach Ende unseres Studiums 1992 selbst ein halbes Jahr durch Südamerika und besuchten auch den „Pesta“, die alternative Schule der Wilds, die eigentlich keine Schule war, zumindest nicht im herkömmlichen Sinne.
Der Ansatz einer „nichtdirektiven“ Erziehung, die Vorstellung, dass Kinder bzw. wir Menschen ganz grundsätzlich alles in uns angelegt haben um uns "selbst zu machen“ und wir keine Eingriffe oder Anleitung von außen benötigen (was nicht heisst keine Grenzen, keine Klarheit oder Vorbilder), führt in letzter Konsequenz zu einer kompletten Veränderung der gesamten Lebens-schau.
Kinder, die wie Pflanzensamen einem ihnen innewohnenden Entwicklungsplan folgen dürfen. Pädagog*innen, Eltern, etc. als Bauern bzw. Bäuerinnen, die „nur“ den Boden, die Umgebung pflegen und vorbereiten, sich aber nicht in das Wachsen selbst einmischen, dem jungen Pflänzchen NICHT sagen, wann, wie und wohin es zu wachsen hat. Also auch keine Geschichte vom Menschen als bösen Wolf, der erst zum Guten er-zogen werden muss.
Dies wirklich zu leben bedeutet einen radikalen Paradigmenwechsel.
Nach unserer Reise landeten Maya und ich schließlich in der Freiraum Schule in
Kritzendorf bei Wien, als Lehrer und Lehrerin einer neu gegründeten alternativen Elternschule, die einen nichtdirektiven Ansatz in der Erziehung ihrer Kinder leben wollten. Die Gründer- Schuleltern engagierten sich riesig und wir beide waren ebenfalls jung und motiviert und gaben viel Kraft für die "pädagogische Basis“ der Schule. Dabei wussten wir damals in unserer „Jugendlichkeit“ meist alles besser als die Eltern, das sollte sich noch ändern.
Nach 4 Jahren in Kritzendorf gründeten wir 1997 gemeinsam mit „gleichgesinnten“ Freunden ein Wohnprojekt, den Lebensraum Niederhof und auch die Niederhofschule, ebenfalls als Schule mit nichtdirektiven Ansatz, ähnlich der Freiraumschule.
Eine entscheidende Veränderung brachte die Geburt unseres ersten Kindes im April 97, der Beginn unserer Elternschaft von insgesamt drei Kindern. Dabei durften wir eben auch feststellen, dass wir es nicht besser wussten, sondern dass wir eigentlich sehr wenig wussten. So stellten wir uns der Herausforderung erneut und entwickelten uns wieder in und mit unserer Familie weiter. Wenn wir auch die eine oder andere Sache für uns neu entdecken und interpretieren durften, so blieben wir doch der grundsätzlichen Idee über die Jahre treu. Sowohl als Eltern als auch als Schulverantwortliche.
Unsere Kinder gingen alle hier in unseren Waldkindergarten und er-lebten hier ihre gesamte Schulzeit. Alle drei sind inzwischen zu großartigen jungen Erwachsenen herangewachsen und wenn ich irgendwas gut im Leben gemacht habe, dann meine ich, ist es sicherlich diese Sache als Vater.
Mehr als zwei Jahrzehnte in und mit der Niederhofschule sind inzwischen vergangen. Ich war Lehrer, Kassier, Obmann, Schriftführer, immer Vater. Ich steckte viel Zeit in die Organisation, gestaltete 2017 die Website der Niederhofschule und zeichnete mich seitdem verantwortlich für dieses "Fenster in die Welt“.
Diese Woche am 1. Juli hatte mein jüngstes Kind hier ihren letzten Schultag. Im Herbst beginnt sie eine Lehre in Wien und wird wie die anderen beiden hinaus in die große Welt gehen, sie wird diese Kraft und diese Sicht aufs Leben mitnehmen, die sie hier empfangen konnte. Die jungen Pflänzchen sind junge Pflanzen geworden, wir Eltern und die Schule durften den Boden bereiten und Klarheit vorleben. Ich bin für all das sehr dankbar und der Weg spürt sich immer noch extrem richtig an.
Somit verlasse ich Ende des Sommers die Niederhofschule in meinen Funktionen, nicht aber in meiner inneren und äußeren Verbundenheit, ein langer, intensiver Lebensabschnitt geht in einen neuen über. Die Grundausrichtung bleibt und ist längst, abseits von Schule und Kindererziehung, ins Blut übergegangen.
Ich bedanke mich bei all meinen Wegbegleitern, speziell bei meinen eigenen Eltern, meiner Frau Maya Vera, meinen Kindern, meinen Freunden und Freundinnen, all den Schulverantwortlichen seit Schulgründung und bei Rebeca und Mauricio Wild.
Markus Wenth
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